Dr.

Maria Baumgartner

Ärztin

Es waren die Bilder von hungernden und kranken Kindern in Afrika, die Maria Baumgartner zu ihrer Berufsentscheidung bewegt haben: Als ausgebildete Ärztin in die Entwicklungshilfe zu gehen und direkt vor Ort zu helfen war ihr größter Wunsch. Nach dem Studium und einer intensiven Vorbereitung geht sie mit ihrem Mann und den drei gemeinsamen Kindern nach Guinea. Aber der für zwei Jahre geplante Aufenthalt wird durch einen Militärputsch jäh beendet. Zurück in Österreich findet sie einen neuen Weg, um benachteiligten Menschen am Rande der Gesellschaft zu helfen. Sie betreut über viele Jahre hinweg Obdachlose, Gefängnisinsassen und Drogenkranke. Im Jahr 2017 wird sie für ihr Engagement mit dem Solidaritätspreis der Diözese Linz ausgezeichnet. Als Schulärztin unterstützt und begleitet sie nun junge Menschen – immer getragen von ihrem Glauben und dem Wunsch, allen Menschen mit Achtsamkeit und Wertschätzung zu begegnen.

Interview

Wieso haben Sie sich für das Medizinstudium entschieden?

Ich wollte unter anderem Ärztin werden, damit ich in die Entwicklungshilfe gehen kann. Mich haben die Bilder aus Afrika von hungernden Kindern sehr bewegt – da entstand bei mir der Wunsch, direkt vor Ort zu helfen. Das Studium ist mir nicht so leichtgefallen, das muss ich ganz offen sagen. Aber ich wollte es unbedingt schaffen. Während des Turnus ging ich für einen sechswöchigen Einsatz auf die Philippinen, im folgenden Jahr nach Kalkutta. Wir haben in einfachsten Verhältnissen gelebt und es hat mich sehr bewegt, was ich dort gesehen und erlebt habe. Der Kontrast zwischen Arm und Reich ist wirklich extrem.

Was hat Ihnen bei diesen Einsätzen am meisten gefallen?

Ich finde es einfach schön, in der Einfachheit ganz direkt mit den Menschen zu arbeiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es in dieser ganzen Armut und dem Elend auch immer wieder Momente ganz großer Lebensfreude gibt. Die Menschen dort sind oft noch viel näher am Leben dran, aber auch am Sterben. Sehr oft gibt es auch mehr Zufriedenheit und mehr Dankbarkeit als bei uns im reichen Österreich.

Wie sind Sie zur Arbeit mit den Obdachlosen in Linz gekommen?

Als unser drittes Kind 10 Monate alt war, sind wir als Familie nach Westafrika gegangen, nach Guinea. Wir wollten eigentlich zwei Jahre bleiben, aber nach einem halben Jahr gab es einen Militärputsch. Die Situation wurde so bedrohlich, dass wir uns entschlossen haben, nach Hause zurückzukehren. Danach stellte sich die Frage, was ich jetzt machen soll, als mich ein Bekannter angesprochen hat, dass jemand für die Notschlafstelle in Linz gesucht wird. Nach dem ersten Besuch habe ich sofort gewusst, dass es das Richtige für mich ist, dass ich hier daheim bin. Man arbeitet ganz einfach und niederschwellig mit den obdachlosen Menschen. Besonders begeistert hat mich auch die Arbeit mit den Streetworkern, die ich seit 2009 einmal wöchentlich begleitet habe – dieses direkte Zugehen auf die Menschen auf der Straße kannte ich auch von meinen Einsätzen im Ausland. Jesus hat seine Anhänger*innen direkt zu den Menschen hinausgeschickt – als gläubiger Mensch möchte ich diesem Auftrag folgen.

Seit kurzem arbeiten Sie als Schulärztin – wie ist es zu dieser Veränderung gekommen?

Ich habe jeden Tag etwas Anderes gemacht – montags war ich in der Justizanstalt Asten tätig, am Dienstag in der Beratungsstelle für Suchtfragen Point in Linz, Mittwoch war ich Streetworken, Donnerstag in der Notschlafstelle und im Obdachlosenheim und am Freitag habe ich auf der PVA Gutachten geschrieben. Das habe ich viele Jahre lang so praktiziert – aber dieser ständige Wechsel ist auf Dauer schon sehr anstrengend. Als mir eine Freundin erzählt hat, dass Schulärzt*innen gesucht werden, habe ich das Diplom gemacht und die Stelle am Borg LINZ übernommen und meine anderen Tätigkeiten sukzessive reduziert. Ich genieße es jetzt sehr, mit den jungen Menschen an der Schule zu arbeiten. Bei meiner Tätigkeit in der Drogenberatung habe ich viele Junge gesehen, die schon am Ende einer negativen Entwicklung angekommen waren – und ich finde es sehr wichtig, wenn man hier schon ganz am Anfang helfen und gegensteuern kann.

Wenn Sie an Ihre Erfahrung in der Odachlosenbetreuung denken, was könnte man hier noch verbessern in Österreich?

Ein wesentliches Problem ist der Mangel an Ärzt*innen – es gibt zum Beispiel das Help-Mobil das Samariterbundes. Dort wird händeringend nach Unterstützung durch Ärzt*innen gesucht, die ein paar Stunden ehrenamtlich zur Verfügung stellen, um die Obdachlosen medizinisch zu betreuen. Es gibt auch nur sehr wenige Stellen, wo ich Menschen hinschicken kann, die nicht versichert sind. In Wien gibt es hier mehr Angebote, in Linz fehlt das leider komplett. Aus der Versicherung kann man z.B. fallen, wenn man einen AMS-Termin versäumt. Viele der betroffenen Menschen sind alkohol- oder drogenkrank oder leiden an psychischen Erkrankungen und schaffen es deshalb nicht zu den Terminen. Dann wird es leider sehr schwierig mit der medizinischen Versorgung, weil ein einfacher Bluttest bereits mehrere Hundert Euro kostet.

Wie kann man andere Ärzt*innen motivieren, sich hier zu engagieren?

Derzeit ist es einfach sehr schwierig, weil viele Ärzt*innen bereits am Limit sind, sowohl in den Krankenhäusern als auch in den Arztpraxen. Da kann man ihnen kaum noch mehr abverlangen. Der Ärztemangel in Österreich ist einfach generell ein Problem. Zum Glück gibt es aber einige pensionierte Ärzt*innen, die sich hier engagieren.

Was braucht man, um diesen Job gut machen zu können?

Man braucht eine gewisse Gelassenheit – viele Obdachlose reagieren nicht so gut darauf, wenn man sich zu sehr engagiert. Der Wunsch, etwas zu ändern, muss von ihnen selbst kommen. Dann kann man auch mehr Hilfe anbieten. Aber wenn sie keine Hilfe wollen, dann muss man das einfach akzeptieren. Natürlich muss man auch mit den Gerüchen umgehen können oder mit Läusen und anderen Tieren.

Neben Ihren vielen Tätigkeiten haben Sie sich auch bei der musikalischen Begleitung der Gottesdienste in der Justizanstalt Asten engagiert. Wie ist es dazu gekommen?

In Afrika gehörte auch die Betreuung des Gefängnisses zu unseren Aufgaben, wo wir einmal pro Woche hingefahren sind um die Insassen zu versorgen. Als ich zurück nach Linz gekommen bin, wollte ich mich auch hier in Österreich engagieren und habe mit dem Gefangenseelsorger Kontakt aufgenommen. Er hat gemeint, er würde Unterstützung bei der musikalischen Begleitung der Gottesdienste benötigen. Wir sind aktuell rund acht Musiker*innen, die immer donnerstags im Gefängnis musizieren. Dort kommen viele Menschen in den Gottesdienst, die noch vor der Verhandlung stehen und deren Zukunft daher sehr ungewiss ist. Es ist zwar nur etwas ganz Einfaches, aber gerade in so einer Zeit der Unsicherheit sind die Insassen sehr dankbar, dass wir für sie da sind.

Was machen Sie als Ausgleich?

Meine größte Freude ist, wenn ich vor dem Bettgehen noch ein wenig zum Lesen komme. Ich muss dazu sagen, dass ich mittlerweile am liebsten Romane lese, die gut ausgehen, wie zum Beispiel Liebesromane. Außerdem gehe ich sehr gerne Spazieren und fahre mit dem Fahrrad in die Arbeit. In unserer Pfarre bin ich als Mesnerin tätig und ganz allgemein ist das Gebet ein wichtiger Teil meines Lebens. Wir beten auch immer in einer Gemeinschaft, das gibt mir viel Kraft.

Wie viel Halt gibt Ihnen Ihr Glaube?

Das ist für mich ein sehr großer Halt, weil man seine Sorgen und Probleme auch einfach jemandem hinlegen kann – man kann sie an Jesus übergeben. Wenn man nicht mehr weiter weiß, dann kann man immer noch beten für die Menschen. Besonders das gemeinsame Beten mit meiner Betrunde ist für mich eine große Stütze.

Wenn Sie an die Zukunft denken, wo würden Sie sich gerne noch engagieren?

Wenn unsere fünf Kinder groß und wir noch fit genug sind, dann möchten mein Mann und ich in der Pension wieder gemeinsam ins Ausland gehen, um Projekte zu unterstützen.

Das Kapitel Entwicklungshilfe ist also noch nicht abgeschlossen?

Nein, überhaupt nicht.

Steckbrief

Familienstatus: verheiratet, fünf Kinder

Lieblingsgericht: Henderl mit Kartoffelsalat             

Lebensmotto: Gib niemals die Hoffnung auf.

Mein Ausgleich: Spazierengehen, Radfahren, Lesen, Gebet

Ich in drei Worten: fröhlich, gläubig, dankbar

Wenn ich einen Tag Frauenministerin wäre… schwierige Frage … Weiterhin an der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern arbeiten.

Name
Familie
Lieblingsort
Lebensmotto
Mein Ausgleich
Ich in drei Worten
Wenn ich einen Tag Frauenministerin wäre