Ihre Mails sind knapp, prägnant, präzise, hinter jedem zweiten Satz steht ein Rufzeichen und pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt steht sie zum telefonischen Interview bereit: DDr. Sylvia Sperandio ist offensichtlich im streng vertikal organisierten militärischen Alltag zu Hause und ist zweifellos gewohnt, Befehle zu erteilen, die widerspruchslos ausgeführt werden.
Im Gespräch zeigt sie sich als intelligente, eloquente und selbstbewusste Persönlichkeit, aber statt der erwarteten verbalen Rufzeichen zeigt sich eine Frau mit einem enorm breiten Horizont, die weit mehr ist, als ein hoher Offizier mit Befehlsgewalt. Ihr Rang scheint nicht das zu sein, womit sie sich in einer ausgeprägten Männerwelt Respekt verschafft.
Auf Fragen antwortet sie oft mit einem herzlichen Lachen und humorvollen Kommentaren, ihre Antworten sind wohl überlegt, erstaunlich feinsinnig und zeigen, dass sie irgendwie dreidimensional denkt, die präzise, vertikale militärische Kultur mit einem spirituellen, ganzheitlichen Weltbild verbindet.
Nach einem medizinisch unnötigen, schmerzhaften Ereignis in ihrer Familie begann sie mit etwa 20 Jahren, sich mit asiatischen Kampfsportarten zu beschäftigen, mit Daoismus, fernöstlicher Philosophie und traditionellen chinesischen Heilmethoden, promovierte in allgemeiner westlicher Medizin und entschloss sich Ende der 90er Jahre, eine militärische Karriere einzuschlagen und nebenher Meisterin der traditionellen Chinesischen Medizin zu werden.
Man spürt in ihren Erzählungen den Schmerz, den sie damals verarbeiten musste, ihre tiefe, wütende aber trotzdem nüchterne und nachdenkliche Grimmigkeit, die in ihr den Entschluss reifen ließ, sich der Medizin zu verschreiben und es besser zu machen.
So wundert es nicht, dass sie sich mit dem kampfeslustigen Feminismus der frühen Jahre auseinandersetzte, aber auch hier nicht fanatisch, sondern nüchtern, nachdenklich und pragmatisch, verbindend statt trennend, ergänzend statt gleichstellend, ganzheitlich statt linear und man beginnt zu verstehen, wie sie als Persönlichkeit dorthin kam, wo sie heute ist und warum sie sich so selbstbewusst und gelassen in solch widersprüchlichen Welten bewegen kann.
Die Generalin fordert mehr Gerechtigkeit für Frauen, kritisiert vehement die nach wie vor weit klaffende Lohnschere zwischen den Geschlechtern, aber erklärt auch, dass es Frauen wie Männern erlaubt sein sollte, sich für eine klassische Rollenaufteilung zu entscheiden, ohne dafür dogmatisiert zu werden.
Dass sie dieses ständige Nachdenken über Widersprüche, über vordergründig nicht vereinbare Philosophien im Alltag verbinden kann, funktioniert nur mit eiserner Disziplin, großer Nüchternheit und konsequenter Beharrlichkeit. Eigenschaften, die in der Armee zweifellos notwendig sind, die aber so gar nicht in die Welt der Spiritualität mit ihrer Unschärfe und Unfassbarkeit passen wollen, für Sylvia Sperandio aber sozusagen das Yin & Yang des Lebens definieren und für sie das Natürlichste der Welt zu sein scheint.
Kritik und Widersprüche solle man nicht persönlich nehmen, sondern als Ansatz dazu, etwas ganzheitlich und pragmatisch zu betrachten, zu lernen und zu verbinden. Frauen empfiehlt sie, mehr an emotionaler Kompetenz, am Vertrauen in die eigene Persönlichkeit zu arbeiten, statt sich in der Perfektionierung von Fachkompetenz zu verlieren. Vertrauen, Social Skills, Philosophie und Respekt für andere Ansichten gehören für sie genauso zum Leben wie Härte, Wettkampf und Konkurrenz, wie es uns die Natur und das Universum im stetigen Wandel vormachen.
Sylvia Sperandio hat sich vor 20 Jahren zum Ziel gesetzt, in einer Männerdomäne Karriere zu machen. Sie kennt die Spielregeln der Männer und kann sie für sich nutzen, wobei sie sich aber nie als Frau vergisst. Sie sieht ihre Spiritualität, ihr Frausein immer als Ergänzung zur Männerwelt und holt sich dort ihre Kraft, ihr Selbstbewusstsein und ihre Balance. Sie erMUTigt: „Lasst euch von niemand aus der Fassung bringen. Egal wohin ihr kommt, seid euer eigener Meister und wo ihr steht, steht aufrecht!”