Anna Mitgutsch ist Mutter eines erwachsenen Sohnes und lebt heute wieder im Zaubertal, wo sie aufgewachsen ist. Bereits in der Volksschule wusste sie, dass sie Schriftstellerin werden wollte, aber erst die Öffnung ihres Horizonts durch Jahrzehnte im Ausland, Reisen um die halbe Welt und viele wichtige Begegnungen prägten ihr literarisches Schaffen. Das Erscheinen ihres ersten Romans „Die Züchtigung“ war einer der glücklichsten Augenblicke ihres Lebens.
Die späten 1960er und frühen 1970er Jahre – die Jahre ihres Studiums der Germanistik und Anglistik – waren Jahre der Freiheit, in denen sie durch den Nahen Osten und ganz Asien, Nordafrika und die USA trampte, sich der Hippie-Bewegung anschloss und ihre Grenzen ausloten konnte. Lehrtätigkeiten an Universitäten führten sie nach England, Südkorea und schließlich in die USA. Ihren ersten Roman schrieb sie nachts, nachdem sie untertags zuletzt an drei Colleges unterrichtete und für ihr kleines Kind sorgte.
Schon früh fühlte Anna Mitgutsch sich zum Judentum hingezogen, seit über 30 Jahren findet sie dort ihre religiöse Heimat, in einer Religion, deren sozialer und ethischer Gedanke das ganze Leben umfasst und durchdringt.
Fast 30 Jahre lang pendelte sie zwischen Beruf und Privatleben, zwischen Österreich und den USA. Sie betrachtet diese Zeit, in der sie an zwei Kulturen gleichzeitig teilhatte, als ihre fruchtbarste. Der Tod ihres Lebensmenschen im Jahr 2006 war ein starker Einschnitt in ihrem Leben – seither lebt Mitgutsch wieder in Linz. Die Trauer über diesen Verlust hat sie im Roman „Wenn du wiederkommst“ thematisiert.
Was ihr in Linz fehlt, ist die Vielfalt an schöpferischen Impulsen und belebende Denkanstöße. Es sind ihr nur wenige nahe Menschen geblieben, ihr Umfeld beschränkt sich hauptsächlich auf die kleine jüdische Gemeinde und ihre dortige ehrenamtliche Tätigkeit. Die kosmopolite Autorin reist immer noch gerne, aber ihrer Meinung nach ist von der Freiheit der 1960er Jahre nichts mehr zu spüren, weder individuell noch gesamtgesellschaftlich. Das Älterwerden ist ein Kapitel, das es zu bewältigen gilt. Die Vereinsamung nimmt zu, auch beruflich, die eigene Generation ist längst in Pension. Das Altern sei keine bewusste Entscheidung, es werde einem von außen aufgezwungen, moniert sie. Die Neugier auf Menschen, ihre Individualität und die persönliche Nähe sind ihr wichtiger als das oberflächliche Netzwerken über Social Media.
Zum Thema Frauen und ihre Gleichstellung in der Öffentlichkeit bezeichnet sie die Frauen in den USA als gleichberechtigter als in Österreich. Chancengleichheit sei dort seit den frühen 1980er Jahren gesetzlich abgesichert. Sie wünscht jungen Frauen vor allem Mut, eigene, auch unkonventionelle Wege zu gehen und wünscht sich mehr Solidarität unter Frauen. Der Slogan der 1970er Jahre „Sisterhood is powerful“ sei leider nie eingelöst worden, bedauert sie.
Mit 25 hatte Mitgutsch eine akademische Karriere an der Universität vor sich und gab diese im dreißigsten Lebensjahr für ein ungewisses Dasein im Ausland auf. Sie wollte das Leben spüren, eine Familie gründen, Neues erfahren und das Wagnis eines nicht vorgegeben Weges eingehen. Hätte sie die Sicherheit gewählt, wäre sie wohl kaum Schriftstellerin geworden – und das ist sie mit Selbstbewusstsein: „Was ich mache, ist Kunst, nicht Dienstleistung an der Unterhaltungsindustrie“.
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