FH-Prof.in Mag.a Dr.in

Martina Gaisch

Hochschulforscherin und Studiengangsleiterin „Design of Digital Products“, FH Oberösterreich Fakultät für Informatik, Kommunikation und Medien

„Das ist nichts für Mädchen“ oder „Männer sind einfach viel besser in Technik“: Solche Vorurteile halten immer noch viele jungen Frauen davon ab, Karrierewege in der IT oder Technik einzuschlagen. Dabei werden in vielen MINT-Bereichen händeringend Fachkräfte gesucht. Mit Vorurteilen aufzuräumen, Ängste abzubauen und neue Perspektiven zu eröffnen ist das tägliche Geschäft von Martina Gaisch. Mit ihrem Studiengang „Design of Digital Products“ am Campus der Fachhochschule Oberösterreich bringt sie mehr Vielfalt in die Informatik. Die Wahl-Oberösterreicherin und langjährige Diversity-Managerin an der FH Oberösterreich leitet außerdem zahlreiche Programme im Bereich „Frauen in MINT“ und zeigt mit ihren Forschungen auf, wo es noch Aufholbereich bei Gleichstellung, Inklusion und Vielfalt gibt. Ihren Bemühungen ist es zu verdanken, dass der Frauen-Anteil in den IT-Studiengängen der Fakultät Hagenberg mittlerweile bei über 30 Prozent liegt – statt bei den durchschnittlichen 18 Prozent. 2023 wurde sie für ihren Einsatz mit dem Grete Rehor-Preis in der Kategorie „Bildung, Wissenschaft und Arbeitswelt“ ausgezeichnet.

Interview

Warum trauen sich noch immer so wenige junge Frauen eine Ausbildung im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (kurz MINT) zu?

Meine Kollegin Victoria Rammer und ich haben 2017 in einer Studie unter jungen Frauen in Oberösterreich erhoben, was sich ändern müsste, damit sie sich für MINT-Studien entscheiden. 9 von 10 der Frauen haben angegeben, dass ihnen von einem solchen Studium aktiv abgeraten wurde, dass sie doch lieber etwas „frauenspezifisches, etwas Kommunikatives oder Soziales“ machen sollen. Dieses Ergebnis hat mich wirklich geärgert – einerseits werden Frauen in Felder reingepresst, wo sie oft weniger verdienen und marginalisierte Jobs haben. Andererseits werden die MINT-Fächer fast schon verteufelt und „vernerdet“. Nach wie vor werden Buben und Mädchen anders erzogen und sozialisiert. Burschen werden für Draufgängertum gelobt und zu mehr Wettbewerb angespornt, Mädchen sollen nach wie vor lieb, nett und angepasst sein. Dieser Sozialisierungsprozess bewirkt, dass sich Frauen tendenziell weniger zutrauen und oft massive Selbstzweifel haben.

Es heißt auch gerne, Frauen wären in technischen bzw. mathematischen Belangen weniger talentiert. Wie viel Mythos steckt hinter dieser Annahme?

Wir haben letztes Jahr eine von MINTality in Auftrag gegebene Studie „Wie MINT gewinnt“ mit 1.500 jungen Frauen im Alter von 14 und 18 Jahren durchgeführt. 85 Prozent der jungen Frauen wussten gar nicht, was MINT überhaupt ist. Stellen Sie sich vor, sie machen lauter MINT-Initiativen, aber die kommen gar nicht an, weil die Zielgruppe das Akronym nicht versteht! Das zweite Ergebnis ist, dass in der Volksschule kein Unterschied zwischen Mädchen und Burschen in den relevanten Fächern besteht – weder in der Wahrnehmung, noch in den Fähigkeiten. Dieses Thema ist also eindeutig ein sozialisiertes. Wir haben erhoben, durch wen dieser Irrglaube vermittelt wird. Das sind zum einen die Eltern, die Söhnen und Töchtern unterschiedliche Begabungen zuschreiben. Ganz stark kommt das aber auch von den Lehrern – und ich gendere hier bewusst nicht. Es gibt sehr toxische Lehrer die jungen Mädchen gewisse Kompetenzen absprechen. Die dritte Gruppe sind Burschen in der Unterstufe, im Alter von etwa 12-13 Jahren, die diese Annahmen weiter verstärken. Das ist ein permanentes Suggerieren, bis die Mädchen es irgendwann selbst glauben.

Wie kann man mehr junge Frauen für MINT-Fächer begeistern?

Man muss hier genauer unterscheiden – in der Mathematik sind 38 Prozent der Studierenden weiblich. Auch in der Biologie und Chemie gibt es keinen Frauenmangel, selbst in der Physik sind über 30 Prozent weiblich. Wenn man also von einem Frauenmangel spricht, dann geht es um die Informatik, dort sind es nur 18 Prozent. Dabei war historisch gesehen in den 1950er und 1960er Jahren die Informatik eine Frauendomäne. Frauen haben im Hintergrund gerechnet und sogar die allerersten Computer programmiert und bedient. Geändert hat sich das erst in den 1980er Jahren mit dem Aufkommen des PCs. Plötzlich war die ganze Werbung, die ganze Zielgruppenansprache nur mehr auf Männer ausgerichtet – überall hieß es plötzlich Boys, Boys, Boys, vom Gameboy bis zum Nintendo-Boy. Auch die gesamte Gaming-Industrie war komplett auf Männer ausgerichtet. Warum? Weil es auf einmal um sehr viel Geld gegangen ist, das sich mit Computern verdienen ließ. Wenn es um Geld, Macht und Status geht, dann war es immer schon eine „Men’s World“. Jetzt versucht man, die Frauen mit aller Kraft wieder zurück in die IT zu holen.

Sie sind dabei sehr erfolgreich – sie konnten den Frauenanteil bei den IT-Studiengängen in Hagenberg auf über 30 Prozent anheben. Was braucht es dafür?

Bei der Entwicklung des Studiengangs „Design of Digital Products“ vor 3 Jahren habe ich bewusst mit möglichst vielen Tech-Frauen zusammengearbeitet. Ich habe versucht, alles umzusetzen, was ich bei meiner ersten Studie an Handlungsempfehlungen herauskristallisiert habe. Das beginnt beim Wording, geht weiter über eine andere Didaktik und andere Zielgruppenansprache – ich muss das Berufsfeld mit einer gesellschaftlichen Relevanz verbinden. Wenn man vermittelt, dass man mit Coden die Welt verbessern kann, dass es um Kommunikation und Kreativität geht, dann spricht das viele junge Frauen an. Es geht auch darum, den Frauen bestimmte Ängste zu nehmen – man muss kein Mathe-Genie sein, um im Bereich IT arbeiten zu können. Unsere Befragung hat auch gezeigt, dass junge Frauen nicht die einzige in einem Bereich sein wollen, sie brauchen andere Frauen, um sich wohlzufühlen. Dieser Wohlfühlfaktor liegt bei ungefähr 30 Prozent Frauenanteil. Wesentlich sind auch mehr weibliche Vorbilder.

Ganz nach dem Motto „You can only be what you can see“?

Ja, genau. Wenn ich nie Feuerwehrfrauen sehe, wie soll ich dann auf die Idee kommen, Feuerwehrfrau werden zu wollen, wenn es das Konzept für mich gar nicht gibt? Wenn man immer nur männliche, sehr homogene Gruppen wahrnimmt, dann denken Frauen, dass sie dort nicht hingehören, dass sie dort nicht dazu passen. Es gibt den so genannten Thomas-Kreislauf, der besagt, dass es mehr Männer namens Thomas in Aufsichtsräten gibt als Frauen. Wir tendieren dazu, uns mit ähnlichen Menschen zu umgeben. Mit lauter „Mini-Me“s läuft es einfach angenehmer und friktionsloser, weil alle gleich ticken und einen ähnlichen Hintergrund haben. Aber es haben auch alle die gleichen blinden Flecken. Innovation bleibt dann auf der Strecke, weil diese oft von Leuten in ein Unternehmen gebracht wird, die anders gestrickt sind. Diversität – und da geht es nicht nur um das Geschlecht, sondern auch um verschiedene Ethnien, Altersgruppen, Menschen mit Behinderungen – ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Den Mut muss man haben, dass man ein wenig mehr Friktion aushält, um den großen Mehrwert der Innovation zu erhalten.

Braucht es hier einen Druck von außen, um etwas zu verändern?

Ja, ohne den geht gar nichts. Und deshalb führt, bei aller Diskussion, auch kein Weg um das Thema Quote herum. Da kommt dann immer die Frage: Aber bekommt dann die beste Person den Posten? Ich antworte dann: Aktuell wird auch nicht die beste, sondern die ähnlichste Person gewählt. Mein Sager ist immer: „Emanzipation ist dann erreicht, wenn es auch unfähige Frauen in die Management-Ebene schaffen.“

Was kann man jungen Menschen als Tipp für ihre Zukunft mitgeben?

Ganz wichtig ist, den Mut zu haben, Türen aufzumachen, die bisher verschlossen waren. Und nicht kategorisch zu sagen, das ist nichts für mich. Man kann Türen ja mal sanft aufmachen und reinschauen. Dabei geht es darum, sich nicht von alten, eingefahrenen Mustern oder irgendwelchen Kommentaren aufhalten zu lassen. Man darf Zuschreibungen von anderen gerne wieder „verlernen“, man darf den Mut haben, neue Wege zu auszuprobieren und den Ballast fallen lassen, den einen irgendwann einmal jemand in den Kopf gepflanzt hat. Kurz gesagt: Es geht einfach darum, dass wir alle gut, selbstbestimmt und erfüllt dem Beruf nachgehen können, der uns gefällt.

Kurzfragebogen:

Familienstatus: verheiratet, Mutter von 2 Söhnen

Lieblingsgericht: Gemüsegerichte aller Art

Lebensmotto: You can only be what you can see.

Mein Ausgleich: gute Gespräche mit inspirierenden Menschen

Ich in drei Worten: zielorientiert, pragmatisch, leistungsfähig

Wenn ich einen Tag Frauenministerin wäre …  Das wäre nichts für mich. Für dieses Amt wäre ich zu ungeduldig, egal ob für einen Tag, ein Jahr oder ein Jahrzehnt.

Name
Familie
Lieblingsort
Lebensmotto
Mein Ausgleich
Ich in drei Worten
Wenn ich einen Tag Frauenministerin wäre